Sebastian Kurz verliert das Vertrauen der Bevölkerung
Lieber Martin,
vielen Dank für Deine Nachricht und Dein Feedback zum dem Bild, das Österreich zur Zeit im Ausland abgibt. Viele Österreicher*innen glauben ja (noch), dass Bundeskanzler Sebastian Kurz im Ausland einen guten Eindruck macht, das Land gut vertritt und durch sein kompetentes und selbstbewusstes Auftreten viel für Österreich erreicht. Das ist letztlich der Regierungspropaganda nach Innen geschuldet, der leider hierzulande auch viele Medien folgen, die öffentlich-rechtlichen eingeschlossen. Dass es sich dabei um Selbsttäuschung handelt, dämmert Österreich erst allmählich.
Viele in Österreich fanden den präpotenten Auftritt des Kanzlers gegenüber EU Kommission und EU Ministerrat mehr als peinlich. Da versuchte Sebastian Kurz mit einer Taktik der Optimierung bei der Impfstoffbeschaffung mit Blick auf Kosteneinsparungen zu punkten, musste dann aber feststellen, dass die Taktik nicht nur wenig erfolgreich war, sondern sogar nach hinten los ging. Ähnliches hatten auch Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Slowenien und Lettland versucht. Bei Bulgarien wirkte sich die Fehleinschätzung zur Liefertreue von AstraZeneka besonders schlimm aus. Die sparsamen sechs haben sich übertrippelt und letztlich ein Eigentor geschossen. Das erinnert mich an Edward Espe Brown, der meinte: Pläne scheitern.
Dass diese sechs, Österreich voran, aber nun so tun, als wäre das nicht Eigenverschulden, sondern ein abgekartetes Spiel der EU Kommission, die in hinterhältiger Absicht und im Dunklen (Kurz spricht von „Black Box”) nichts weniger beabsichtigten als ebendiesen sechs Ländern zu schaden, ist nicht nur lächerlich, sondern in hohem Maße peinlich. Ich schäme mir für Österreich und seinen Kanzler.
Kurz spekuliert mit einem primitiven Reflex in der Bevölkerung: Wenn etwas schief läuft, waren es immer die anderen. Dazu kommt die verschlagene Schläue, die am Ende dastehen will und sagen: Denen haben wir es gezeigt; wir sind am besten ausgestiegen; seht her, was für einen tollen, gewieften Bundeskanzler ihr habt. Kurz agiert unerträglich provinziell und engstirnig, um nicht zu sagen grandios dumm, dämlich.
Kann man einem Kanzler, einem Sebastian Kurz noch trauen, vertrauen? Seine Vertrauenswürdigkeit ist seit Monaten auf Talfahrt; nachdem er Ende 2017 von Konservativen quasi wie ein Messias bejubelt worden war, weil er in einem rasanten Coup sich nicht nur der Großen Koalition entledigt hatte, sondern auch des eigenen Vizekanzlers und Parteiobmanns Mitterlehner und die ÖVP an der FPÖ vorbei zu längst nicht mehr möglich scheinendem Wahlerfolg führte. Aus meiner Sicht war das ein intriganter Parteiputsch eines überehrgeizigen, ebenso narzisstischen wie skrupellosen Jungpolitikers, der schlau genug war, rechtzeitig Seilschaften im Verborgenen zu bilden, Netzwerke zu nähren, Sponsoren und Geldgeber an die Stange zu bringen und im richtigen Moment loszuschlagen.
Das mögen zwar durchaus Eigenschaften sein, die ein Politiker braucht, will er erfolgreich sein. Aber wie heißt es so schön: das mögen notwendige Eigenschaften ein, aber das ist nicht hinreichend, um tatsächlich ein erfolgreicher Staatsmann zu werden. Und diesen nur zu spielen, wie es Kurz macht, reicht eben nicht hin.
Du hast Recht, wenn Du mir vorhältst, dass ich anfangs, als Kurz Außenminister war, beeindruckt war von der Selbstsicherheit, seinem Selbstbewusstsein und seinem Auftreten auf internationaler Bühne – und das in so jungen Jahren. Aber wie heißt es so schön: Viele hat ein schneller Erfolg schon verdorben. Das trifft auf Kurz zu und vor allem zeigte es sich, dass seine politischen Potenziale zwar im Vergleich zu Kern, Strache und Kickel, Glawischnig (von Felipe und Lunacek ganz zu schweigen) und anderen reüssieren konnten, letztlich im internationalen Vergleich doch provinziell blieben.
Selbst eingeschworenen Anhänger*innen ist zur Zeit nicht wohl dabei, wie die Regierung Kurz (er selbst agiert massiv im Hintergrund, um keinen Imageschaden zu erleiden und um später die Schuld im Falle des Scheitern andern zuschieben zu können) während die dritte Corona Welle anrollt, agiert. Während in Deutschland Maßnahmen ergriffen werden, um eine weitere Verbreitung wirksam einzudämmen und das Robert Koch Institut bei einer Inzidenz von 119 angesichts aggressiver Corona Varianten vor Lockerungen warnt, zeigt sich in Österreich die Regierung bei einem Inzidenzwert von 250 relativ uneinsichtig. Es wird an die Einsicht der Bevölkerung appelliert. Einerseits werden Besuchsregeln verschärft und andererseits werden Reisen zu Zweitwohnsitzen mit dem Hinweis, dazu gäbe es ein berechtigtes Grundbedürfnis, erlaubt. Selbst naive und gutgläubige Anhänger der Regierung sehen allmählich ein, dass hier krasse Klientelpolitik betrieben wird, die uns diesen hohen Inzidenzwert und überlastete Intensivstationen bescheren. Der heute sichtbar gewordene Stand ist im Grunde vierzehn Tage alt. Faktisch sind wir schon längst über die Inzidenz von 250 hinaus.
Immer mehr junge Menschen erkranken bei zunehmend schweren Verläufen und immer häufigeren Todesfällen. Es mehren sich die Berichte von Langzeitfolgen auch bei jenen, die nur „leichte” Infektionsverläufe hatte. Die Impfung kommt schleppend voran und das wird sich, trotz aller Beteuerungen, bei einigermaßen klaren Blick in den kommenden Monaten nicht viel ändern.
Trotz trüber Aussichten wünsche ich Dir eine gute Zeit, bleib gesund.
C
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