Lebenszeichen
Liebe Theresa,
Du wirst womöglich überrascht sein, nach Jahren von mir einen Brief zu bekommen, ein Lebenszeichen. Es kam immer etwas dazwischen und offen gestanden hatte ich Dich aus den Augen verloren, weil anderes ins Blickfeld drängte. Ich nehme an, dass es bei Dir ähnlich war, denn Du hast Deinerseits nichts hören lassen.
Ich hoffe es geht Dir gut und Du hast viele Deiner Ziele, die Dich in unserer gemeinsamen Studienzeit begeisterten, erreichen können. Manches kann ich in LinkedIn nachlesen. Ich gratuliere Dir zu Deiner Karriere! Spannend finde ich, dass wir beide, ich glaube aber auch Udo und Maria, nach dem Studium einen ganz anderen beruflichen Weg eingeschlagen haben und nicht als Theologen in den pastoralen Dienst gegangen sind. Ich zumindest bin froh, dass ich das damals nicht gemacht habe.
Du fragst sicherlich nach dem Anlass meines Briefes. Während unseres gemeinsamen Studiums saßen wir mit Freunden und Freundinnen oft Nächte lang zusammen und diskutierten. Es drehte sich viel um politische Theologie, wenn ich das so summieren kann. Vor allem Johann Baptist Metz und die Befreiungstheologie beschäftigte uns damals. Erinnerst Du Dich noch an die Politischen Nachtgebete in der Krypta? Damals waren viele von uns in der Friedensbewegung aktiv, demonstrierten gegen den Nato-Doppelbeschluss und die Stationierung von Pershing II. In Erinnerung ist mir, dass der deutsche Verfassungsschutz versucht hatte, Sabine und ihren damaligen Freund als Spitzel zu rekrutieren und ihnen versprach, ihr Studium zu finanzieren und für ihre Karrieren zu sorgen. Weißt Du noch?
Es geht nicht um Sentimentalität. Es geht vielmehr darum, den Versuch zu wagen, einen liegen gelassenen Faden wieder aufzugreifen. Die Kirchen, in unseren Breiten vor allem die katholische Kirche, tun sich mehr als schwer angesichts der Herausforderungen, denen wir uns seit einigen Jahren gegenüber gestellt sehen. Diakonie und Caritas, sie sind es, die das Ansehen der beiden großen christlichen Glaubensgemeinschaften noch stützen. In Österreich, wo ich seit fast 30 Jahren lebe und verheiratet bin, versagen die Kirchen. Besonders die katholische Kirche ist nach zahllosen Skandalen unglaubwürdig geworden. Ihr gesellschaftlicher Einfluss ist kaum mehr auszumachen.
Mag sein, dass sich der eine oder andere Bischof oder Superintendent beispielsweise zur hässlichen Politik der rechtspopulistischen Regierung von ÖVP/ FPÖ geäußert hat, in den Medien hat das keinen, zumindest keinen spürbaren Niederschlag gefunden, von Echo ganz schweigen. Die Kirchen sind keine relevante gesellschaftliche Kraft mehr. Sie haben ihren Einfluss weitgehend verloren. Dass sie in offenen Widerstand gegen Entwicklungen gehen, die mit dem Evangelium nicht mehr in Einklang zu bringen sind, ist derzeit nicht vorstellbar. Es bliebe wohl zunächst auch weitgehend wirkungslos. Das mag alles viel zu pauschal kritisiert sein, ich weiß. Es gibt da viele Einzelne und Gruppen, die sich sehr bemühen. Es gibt einen Papst Franziskus, den ich sehr schätze, der das Evangelium aus dem Geist des 2.Vatikanums und im Einfluss der Befreiungstheologie lebt. Aber als Institutionen haben sie doch an Relevanz verloren und das nicht zu unrecht. Damit möchte ich das Thema Kirchen wieder beiseite legen.
Meine Frage ist: In unseren Gesellschaften gibt es Entwicklungen, die mir sehr zu schaffen machen. Aktuelle rechtspopulistische Entwicklungen, eine zunehmend rücksichtsloser agierende Wirtschaft und vor allem die schnell wachsende Zahl an Menschen, die brutal, egoistisch und dumm agieren, beschäftigen mich.
Ich möchte diese Entwicklung besser verstehen lernen, um dann in ein Handeln zu kommen. Dabei suche ich den Austausch mit Menschen, die ich schätze und von denen ich weiß, dass sie kritisch nachdenken. Da bist auch Du mir eingefallen. Ich weiß natürlich nicht, in welcher Lebenssituation Dich dieser Brief erreicht. Ich hoffe aber, dass sich ein Gedankenaustausch ergeben wird.
Ich freue mich auf Deine Antwort.
Einstweilen, herzliche Grüße
C.
Die Korrespondenz mit Theresa im Überblick
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