Carl Schmitt, einer der umstrittensten Staatsrechtler des 20. Jahrhunderts in Deutschland, nicht nur als „politischer Philosoph” bezeichnet, sondern auch als Begründer der „politischen Theologie”, biederte sich den Nationalsozialisten an, bekannte sich zum nationalsozialistischen Antisemitismus und verdingte sich als juristischer Stichwortgeber der Nazis. Es deutet einiges darauf hin, dass Carl Schmitt als politischer Denker in der europäischen Rechten, insbesondere in Österreich rezipiert wird.
Kategorie: "gelesen"
Gedichte von Gabriele Pflug sind veröffentlicht unter Zichoriezauber 2016-2018 und Zichoriezauber ab 2018
Zugefallen ist mir ein Lebensausschnitt, als ich Toni Morrisons Menschenkind aus dem Bücherregal zog und darin blätterte.
Ich hatte mir angewöhnt, auf der hinteren Innenseite des Buchumschlags nicht nur zu notieren, wann ich das Buch gekauft habe, sondern oftmals auch unter welchen Umständen ich auf das Buch aufmerksam wurde. In Menschenkind fand ich folgenden Eintrag:
26.7. 1994
Auf der Rückreise von Hamburg nach Linz saßen mir im Zug gegenüber eine junge Frau, Karoline Vo… aus Halle, und ein kleines schwarzes Kind, vis-a-vis. Sie las ganz vertieft in diesem Buch, was mich veranlasste, es mir zu kaufen.
Das war meine erste Begegnung mit Toni Morrison, die im Jahr zuvor, 1993, den Literaturnobelpreis erhalten hatte.
Immer mehr Online Leser werden zu Wischern
. Es wird weniger gelesen, als vielmehr ein Eindruck aufgerufen, dann wisch und weiter, auf der Suche nach anderen Eindrücken, unruhig, getrieben, streunend. Gelesen wird dabei selten, auch wenig überflogen, was man früher als diagonales Lesen
bezeichnete. Immer auf der Suche, ob es anderswo die Info in kleineren, appetitlicheren Häppchen gibt. Das lässt sich gut über einen Langzeitvergleich in der Webstatistik verfolgen. Website Betreiber reagieren darauf, indem sie die Lesedauer angeben: 3 Minuten oder so. Anbiederung an nervöse, flüchtige Zeitgenossen. Ich halte dagegen. Bis auf die Einträge im Sudelbuch, wo es darum geht, vor allem Gedankensplitter, Kommentare, Beobachtungen zu notieren, schreibe ich ausführlich. Gut strukturiert, so dass sich Leser nicht verlieren, aber doch so, dass Leser sich entscheiden müssen, ob sie lesen oder wischen wollen. Für Wischer gilt, was auch für Reisende gilt: Man soll sie nicht aufhalten.
Nur für kurz lege ich Bücher aus der Hand.
Wenn ich sie wieder zur Hand nehme sind oft Jahre vergangen.
Die Kirche hat enorm an Glaubwürdigkeit verloren. Sie hat sich der Parteinahme für die Armen und Unterdrückten, für die Schöpfung zu lange verweigert. Inzwischen versinkt sie in Bedeutungslosigkeit und ihr Wort reicht gerade noch zur Marginale.
Wenn uns die bedrückende Aktualität des Tages die Wahl des Themas aus der Hand reißt, ist die Versuchung groß, mit den John Waynes unter uns Intellektuellen um den schnellsten Schuss aus der Hüfte zu wetteifern.
Jürgen Habermas (2001), Glauben und Wissen
Immer haben nur fünf oder sechs das Ohr des Tyrannen, dem sie sich entweder von selbst genähert haben oder von dem sie herbeigerufen worden sind, um die Mitschuldigen seiner Grausamkeiten, die Gefährten seiner Vergnügungen, die Unterhändler seiner Wollüste und die Teilnehmer seiner Räubereien zu sein. Diese sechs richten ihr Oberhaupt so gut ab, dass es nicht nur auf eigene Rechnung böse ist, sondern sich auch noch zu allen Übeltaten dieser seiner Kreaturen vergesellschaftet.
— Was Etienne de la Boetie in seiner Abhandlung über die freiwillige Knechtschaft
schreibt, lässt mich daran denken, dass nach dem Anschluss Österreichs an Hitler–Deutschland ohne Not zahllose Menschen auf Juden losgegangen sind, sich dem neuen Herrenmenschen andienend und den eigenen niedrigen Instinkten freien Lauf lassend. Es war ein gegenseitiges Benutzen von sogenannten Herren und Knechten.
In der DDR gab es seit 1975 fast 40 rassistische Übergriffe auf Wohnheime von Vertragsarbeitern aus Kuba, Vietnam und Angola, im Westen dagegen bis 1992 keinen einzigen.
Während Ortega in Nicaragua mit allen Mitteln an der Macht bleiben will, strebt die FPÖ in Österreich mit allen Mitteln an die Macht. Zwei Themen einer Korrespondenz.
Die Diskussion, ob für Österreich zur Bekämpfung von Sars-CoV-2 das schwedischen Modell nicht wirksamer gewesen wäre, gerade angesichts der hohen wirtschaftlichen Folgekosten des Shutdown in Österreich, erübrigt sich: Es hätte in Österreich nicht funktioniert.
In Schweden hat die Regierung Empfehlungen ausgesprochen und sich darauf verlassen, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung mündig und verantwortungsbewusst mit diesen Empfehlungen umgeht. Es brauchte keine Verordnungen, keine Strafandrohungen, Anzeigen und Ordnungsstrafmandate. Dort wo es geboten war, wurde staatlich gehandelt, z.B. beim Schutz von Alten- und Pflegeheimen. Schulen und Universitäten wurden geschlossen und Veranstaltungen über 500 Teilnehmer*innen untersagt. Und die Schwed*innen habe sich ohne Einschränkung ihrer Freiheitsrechte und Strafandrohungen eigenverantwortlich an diese Empfehlungen gehalten und das Land ist bislang sehr gut gefahren.
Der gelernte Österreicher und die gelernte Österreicherin gehen davon aus, dass alles erlaubt ist, was nicht ausdrücklich verboten ist und mit Strafe bewehrt. Sie können nicht damit leben, dass sie sich an Empfehlungen halten, die Nachbarn aber nicht. Sie halten es nicht aus, wenn andere in der Sonne vor einem Café sitzen und den Tag genießen, während sie selbst, da sie sich womöglich zu einer Risikogruppe zählen oder glauben sich strenger an Empfehlungen halten zu müssen, zu Hause bleiben und jeglichen Sozialkontakt meiden. Es ist letztlich ein Neidkomplex, der tief in die österreichische Seele blicken lässt.
Beim Gebrauch von Begriffen macht sich zunehmend ein gewisser Schlendrian breit, selbst bei der Verwendung von Fachbegriffen. Dabei geht es nicht um Fragen einer akademischen Kür, sondern bei Begriffen kann es ums Ganze gehen. Am Beispiel des Begriffs „Diagnose” wird anschaulich, dass dieser Schlendrian, dann, wenn beispielsweise ein Arzt eine Vermutung als Diagnose ausgibt, einem Patienten gehörig schaden kann oder wenn eine Krankheit nicht als Krankheit diagnostiziert werden kann, weil diese nicht in international statistischen Klassifikationssystem aufscheint, wie beispielsweise im ICD-10 oder DSM-5.
In der FAZ meinte der Autor des Beitrags Digital souverän in Zeiten von 5G
:
Da meint jemand, man könne eine Gesellschaft transformieren wie man das mit Technologie könne. Ein fataler und leider intellektuell auch äußerst blasser Gedanke. Dieser allerdings schwirrt in den Führungsetagen der Wirtschaft ebenso wie unter Politikern. Die Technokratie in unseliger Allianz mit neoliberaler Myopia beschädigen seit Jahrzehnten Gesellschaften und glauben, in den Verfallserscheinungen Fortschritt erkennen zu können.
Gerade in Österreich ist das Floriani-Prinzip stark verankert, die Bitte an den Heiligen Florian, das eigene Haus von Feuer zu verschonen und statt dessen ein anderes Haus anzuzünden. Sebastian Kurz dürfte dieses Prinzip zur Handlungsmaxime erhoben haben. Anstatt sich substantiell mit potentiellen Bedrohungen oder Gefahrenlagen auseinanderzusetzen und tragbare Lösungen zu erarbeiten, versucht er diese auf andere abzuschieben.
Sie kennen die Geschichte des Frosches, den ein Skorpion bat, ihn auf seinem Rücken ans andere Ufer eines Flusses zu bringen? Sie erinnern sich, dass der Frosch meinte: Ich bin doch nicht lebensmüde. Wenn wir dann auf dem Wasser sind und du mich stichst, dann muss ich sterben
. Nachvollziehbar. Aber der Skorpion hatte darauf erwidert: Wenn ich Dich stechen würde, dann gingen wir beide unter und wir beide müssten sterben
. Diese Logik überzeugte den Frosch und leuchtet auch uns ein. So ließ es der Frosch zu, dass der Skorpion auf seinen Rücken stieg. Der Frosch war aber kaum einige Meter weit geschwommen, spürte er einen stechenden Schmerz. Jetzt hast du mich doch gestochen. Nun müssen wir beide sterben!
Darauf der Skorpion: Tut mir leid, aber ich bin ein Skorpion und kann nun mal nicht anders. Es liegt in meiner Natur. Skorpione stechen eben.
Wir sollten uns von der naiven Vorstellung verabschieden, dass Menschen rational und logisch handeln, dass sie nichts tun, was ihnen am Ende selbst schadet. Es gibt Menschen und Interessensgruppen, Politiker und Parteien, die an der Destabilisierung unserer Demokratie und unseres Rechtssystems interessiert sind, die davon profitieren und die keinen Gedanken darauf verschwenden, dass sie selbst von den Folgen betroffen sein werden. Konzerne halten an einer Unternehmenspolitik, Politiker an einer Politik und Wähler an Parteien fest, die die ökologischen Grundlagen unseres Lebens auf der Erde und unsere demokratische und soziale Gesellschaft zerstören. Es ist aber dieselbe Erde, auf der sie, ihre Kinder und Kindeskinder leben, in den gesellschaftlichen Bezügen von gelingendem und verantwortetem Miteinander. Sie tun es trotzdem.
Wieder zur Hand genommen: von Manes Sperber
. Immer wieder sehr anregend, wenngleich sprachlich stellenweise etwas gewöhnungsbedürftig (das hatte ich vergessen).
Angeregt durch die aktuellen zeitgeschichtlichen Vorkommnisse treten einige Stellen deutlicher hervor, schnappen richtig ein:
Es reichten schon einige Akkorde, Takte oder erste Sätze aus Büchern oder Zeitschriften, um zu wissen, ob ich das schon gehört oder gelesen hatte. In vielen Fällen gelang auch die Zuordnung. Seit einiger Zeit stelle ich fest, dass ich mich an Fernsehfilme, also kurzweilige oftmals nicht besonders anspruchsvolle Unterhaltung, weniger gut erinnern kann. Das erweist sich gerade in Sommermonaten als Vorteil. Zunehmend viele Wiederholungen lassen mich mittlerweile kalt.
Karenzunterbrechung von Lehrer*innen ausgerechnet in der Ferienzeit ist eine bewusste Ausnutzung des Systems zu Lasten des Gemeinwesens.
Vielfach wird Migranten vorgeworfen, dass sie sehr schnell herausfinden, wie sie das Sozialsystem ausreizen können, dass sich Informationen zu rechtlich zulässigen Umgehungen und Optimierungen in Windeseile unter ihnen vertreiben würden. Nichts anderes passiert hier. Eine ohnehin gut bezahlte und mit Ferien üppig ausgestattete Berufsgruppe hat erkannt, dass eine Karenzunterbrechnung von Lehrer*innen während der Ferien einfach genial ist. In der Schule tut sich ohne nichts und im Regelfall bleiben diese Lehrer*innen einfach zu Hause, so sie nicht gar in Urlaub fahren. Die Partner nehmen in dieser Zeit Väter- bzw. Mütterkarenz. So gewinnen diese Paare vier bis acht Wochen gemeinsamen Urlaub dazu – bezahlt vom Gemeinwesen.
Die zuständige Ministerin Iris Eliisa Rauskala meint dazu: Die Unterbrechung der Elternkarenz in den Ferienmonaten Juli und August stellt keine Sonderbestimmung für Lehrerinnen und Lehrer dar, sondern gilt für alle öffentlich Bediensteten. Es handelt sich um keine Gesetzeslücke.
Entsprechend sieht die Ministerin auch keinen Handlungsbedarf. (ORF, ZIB2 vom 8.7.2019)
Das Lehrerdienstrecht ist laut Andreas Salcher auf Ausgabenmaximierung ausgelegt. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, auch wenn das Minister*innen anders sehen wollen.
Ehrenhafte Menschen sterben für ihr Land,
damit Pragmatiker es führen können.
Shooter 3, 5
Unter der Überschrift Wir lesen bald im virtuellen Raum
, schreibt eine Journalistin der Salzburger Nachrichten: In ein Buch zu versinken und in die darin vorgezeichnete Welt einzutreten, verbindet man zunächst mit einem Vorgang, der nur im Kopf stattfindet. Doch nun wird dieses Eintauchen in ein Buch zur Realität: Mittels VR Brillen werden wir Bücher künftig in einer neuen Dimension erleben können.
Sieht man davon ab, dass VR etwas anderes ist, als die von der Journalistin unterstellte Realität (da hoffe ich, dass sie nie im Politik oder Wirtschaftsressort arbeiten wird) hat sich die Journalistin wohl nie wirklich mit den Fähigkeiten des menschlichen Gehirns auseinander gesetzt und wohl noch viel weniger, mit dem Prozess, wie VR produziert wird. Es ist betrüblich, in welchem Maße Journalist*innen die Fähigkeit zum kritischen Denken abhanden kommt, von kritischem Journalismus, der ohne kritisches Denken nicht vorstellbar ist, ganz zu schweigen.
Der Prozentsatz intelligenter Menschen ist relativ konstant. Dass es immer mehr akademisch ausgebildete Menschen gibt, bedeutet de facto ja nur, dass man einfach das Niveau gesenkt hat.
Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre, zählt zu den einflussreichsten Ökonomen der Schweiz ⌕
Zell am See ist ein begehrter Urlaubsort, vor allem für arabische Gäste, häufig wahabitischen Glaubens, also vornehmlich aus Saudi Arabien. Im Land beklagt man sich, dass verschleierten Frauen mit Vermummungsverbot, Abmahnungen und Strafen nicht beizukommen ist - wie auch, sind die Strafen für diese Klientel doch eher vernachlässigbar.
Viele regen sich darüber auf, dass diese Gäste die Landessitten mißachten. Nun; ich erinnere mich noch an Klagen vieler Italiener in den 50er und 60er Jahre, vieler Griechen der 60er und 70er Jahre und Menschen aus vielen anderen Urlaubsdestinationen bis heute, dass sich die Touristen weniger wie Gäste benähmen, sondern vielmehr wie Invasoren aufträten, auf Sitten und Kultur des Gastlandes keinerlei Rücksicht nähmen. Da liefen Rucksacktourisen nackt durch Dörfer und freuten sich, wenn sie so die Dörfler provozieren konnten. Kirchengemeinden sahen sich mit halb nackten Touristen konfrontiert, die nicht einsehen wollten, dass Bikini und Badehose unangemessen sind. Österreicher und Deutsche waren dabei ebenso rücksichtslos wie Niederländer, Belgier, Engländer und viele andere. Und nun regen sich Österreicher auf, wenn Gäste ihre Lebensart mitbringen. Dabei, das ist doch festzuhalten, sind verschleierte Frauen sicherlich weniger anstößig, als adipöse, häufig angesoffene Halbnackerte. Für wen halten wir uns eigentlich?
Laut ‚Die Presse’ äußerte Justizminister Wolfgang Brandstetter, dass im Zuge der Genehmigung von Demonstrationen geprüft werden könnte, ob der Protest nicht auch ausreichend auf sozialen Netzwerken artikuliert werden könne . Nach dem Motto: Wenn Demos über Soziale Netzwerke wie Facebook organisiert werden, dann könnten Sie auch dort abgehalten werden. Damit assistiert der Justizminister Innenminister Wolfgang Sobotka, der meinte, dass es möglich sein sollte, Demonstrationen zu untersagen, wenn geschäftliche Interessen dadurch beeinträchtigt würden .
Mich packte schon immer, besonders in den letzten Jahren, die Verzweiflung, wenn von gelesenen Büchern, selbst den wichtigen und mehrmals gelesenen Büchern bestenfalls nur noch dürftige Erinnerungen verfügbar sind. Anders, als in meiner Jugend.
Erstmals 1992 erschienen, dann 1995 bei Suhrkamp verlegt ist Das Land ohne Eigenschaften
überraschend aktuell. Es kam mir wieder in die Hände, als ich in meinen Bücherregalen Platz schaffen wollte. Ich werde es doch behalten, allein schon wegen diese Satzes:
‚Österreichische Identität’ – dieser Begriff hat etwas von einem dunklen und muffigen Zimmer, in dem man, wenn man aus irgendeinem Grund eintritt, sofort die Vorhänge beiseite schieben und das Fenster öffnen möchte, um etwas Luft und Licht hereinzulassen. Doch wenn das Fenster keine Aussicht hat und sich der Raum daher nicht erhellen will?
Menasse, Robert (1995): Das Land ohne Eigentschaften, Suhrkamp, 7.
Auf Caesare Pavese bin ich über Leone Ginzburg gestoßen. Leone Ginzburg, Vater des renommierten, aber hierzulande weniger bekannten Kunsthistorikers Carlo Ginzburg, war ein vehementer Gegner des Faschismus. Zusammen mit Giulio Einaudi hatte er den Einaudi Verlag gegründet, einen der wohl angesehensten Verlage Italiens. Leone Ginzburg war seit der gemeinsamen Turiner Gymnasialzeit mit Caesare Pavese eng befreundet. Ein spannendes, faszinierendes Beziehungsgeflecht von Intellektuellen am Anfang des 20. Jahrhunderts in Italien, zudem auch Carlo Levi gehörte.
Aus der Erinnerung dieses eschatologischen Vorbehaltes kann und muss die Kirche ihre kritische Kraft beziehen gegenüber allen totalitären Systemen von Herrschaft und gegenüber allen Ideologien einer linearen, eindimensionalen Emanzipation. Wo sich nämlich die Geschichte der Freiheit ohne die Erinnerung dieses eschatologischen Vorbehaltes vollzieht, scheint sie immer wieder dem Zwang zu verfallen, ein innerweltliches Subjekt für die Gesamtgeschichte der Freiheit einzusetzen, das potentiell zur totalitären Herrschaft von Menschen über Menschen drängt.
Metz, Johann Baptist (1971), 89.
George Steiner zählt zu den von mir sehr geschätzten und immer wieder gelesenen Autoren. Heute las ich das Gespräch nach, das Iris Radisch mit ihm führte und das sie in ihrem Buch Die letzten Dinge. Lebensendgespräche
2015, also doch schon wieder vor einigen Jahren, veröffentlicht hatte.
Dort las ich, auf die Bemerkung von Iris Radisch, dass Steiners Vater weitsichtig war, als er bereits 1924 aus Österreich emigrierte, folgendes:
In Spiegel Online zieht Arno Frank in seinem schon zweifelhaft betitelten Beitrag: „Und Nena sprach, es werde Licht” (15.10.20) über Nena, mit bürgerlichem Namen Susanne Kerner, in einer Weise her, wie es übler in einem Qualitätsmedium wohl kaum geht. Sind die persönlichen Attacken schon geschmacklos ⌕, so gefällt sich Frank obendrein in einer selbstgefälligen Pose, die ihn selbst wohl eher als präpotent, denn als kritisch ausweist.
Verstreut liegen Notizen, Zeitungsausschnitte am Schreibtisch, Links zu interessanten Webseiten werden auf Twitter gesichert, manches in meiner Literaturdatenbank. Nun habe ich mich doch dazu entschlossen, ein „Journal zu Zeiten von COVID-19” zu beginnen, nicht als eigenes Blog, sondern als Blogpost mit fortlaufenden, umgekehrt chronologisch gereihten Einträgen.
Schon beim ersten Eintrag war ich mit dem Schreibstil unzufrieden. Es war derselbe Stil, in welchem ich meine Blogpost üblicherweise verfasse. Einziger Unterschied: Die Einträge sind kürzer. Aber gerade ein Journal braucht einen meiner Meinung nach einen eigenen Stil. Daher nenne ich es auch „Journal” und nicht „Tagebuch”, wobei der Unterschied für mich eher ein gefühlter ist, einer von „Stimmigkeit”.
Kürzer, knapper, zwar nicht gerade als Rap. Es sollte sein wie Milchpulver oder Kaffeepulver, konzentriert und sich beim Lesen entfalten, wie die Pulver beim Aufgießen.
In Sachsen hat ein Staatsanwalt ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung eingestellt, mit der Begründung, dass der Tatbestand einer volksverhetzenden antisemitischen Tätowierung auf dem Bauch eines Rechtsradikalen zwar eindeutig volksverhetzenden Inhalts
sei, aber nicht nachgewiesen werden könne, dass diese Tätowierung einem nicht überschaubaren Empfängerkreis zugänglich gemacht
wurde. Und schließlich sei nur das strafbar. Die Verbreitung der Tätowierung durch ein im ARD ausgestrahlten Fotos könnte dem Beklagten nicht zugerechnet werden.
Das ist mehr als seltsam. Bei einiger Recherche wäre es sicherlich unschwer nachzuweisen gewesen, dass der Beklagte bspw. beim öffentlichen Baden seinen Bauch samt Tätowierung öffentlich zur Schau trägt.
Die Begründung der Einstellung des Verfahrens ist sophistisch und legalistisch wohl korrekt. Dennoch gibt dieser Vorgang der Staatsanwaltschaft in einer sächsischen Kleinstadt zu denken, denn dies leistet letzlich Volksverhetzung Vorschub.
Shlomo D. Goitein, ein israelischer Oirentalist, bezweifelt, dass wir jemals klären können, wie sich „al-ʿarabiyya” herausbildete, die Kunstsprache, Sprache der Poesie, die über alle arabischen Stämme und ihre Dialekte hinweg verstanden wurde. In Navid Kermanis Essay, Die Macht der Sprache. Über Koran, Poesie und Politik, bin ich auf dieses sehr anregende Phänomen gestoßen.
Ohne die Hochsprache der Poeten hätte sich zu Zeiten der sogenannten „Dschahiliyya” der Koran nicht so weit ausbreiten können. Das heißt aber auch, dass Sprache und Poesie einen allgemein sehr hohen Stellenwert gehabt haben. Interessant ist, dass sich Mohammed dieser Hochsprache der Poeten bediente, sich gleichzeigtig aber auch verteidigen musste, kein Poet, sondern Prophet zu sein. Kermani zitiert dazu Sure 21,5: Aber sie sagten: Er dichtet nur, er ist ein Dichter.
Beim Lesen des Gästebuchs des Presseclubs, aber nicht nur dort, entsteht leicht der Eindruck, als wären rechtspopulistische Positionen in unserer Gesellschaft deutlich in der Mehrheit. Dabei haben sich da nur einige einer gesellschaftlichen Minderheit verabredet, um genau diesen Eindruck zu erwecken.
Es ändert aber nichts daran, dass rechtspopulistische Positionen, insbesondere rechtsnationale und fremdenfeindliche von einer großen Mehrheit in Deutschland nicht geteilt werden.
Und das wird auch so bleiben, trotz mancher Schrammen und Pöbeleien.
In einem alten Notizbuch von 2003 fand ich folgende kurz festgehaltene Fragmente:
Kinder schütteln ein Spielzeug, wenn es nicht so funktioniert, wie sie es sich vorstellen. Sie werfen es auch mal auf den Boden, seltener an die Wand. Andere schlagen mit dem Hammer darauf herum. Sie alle verzweifeln früher oder später und geraten nicht selten in Wut, weil diese Herangehensweise üblicherweise nicht zum gewünschten Ziel führt.
Der ehemalige Innenminister Österreichs und Clubobmann der rechtspopulistischen FPÖ, Herbert Kickl, scheint die österreichische Gesellschaft nach vergleichbarem Muster zu bearbeiten, immer dann, wenn sich seine Vorhaben und das, was offenbar in seinem Kopf vor sich geht, nicht widerspruchslos umsetzen lassen. Er hat, das zumindest belegen seine Aktivitäten und Äußerungen, offenbar noch nicht verstanden, was eine Demokratie ist und wie Demokratie funktioniert.
Es stellt sich daher die Frage, wie tragbar Herbert Kickl als Innenminister ist, wie tragbar Innenminister mit solcher Gesinnung sind.
Vor vielen Jahren angelesen und weggelegt, habe ich dieser Tage „Die Züchtigung” von Anna Mitgutsch wieder zur Hand genommen und diesmal gelesen. Es kostete mich Überwindung das Buch nicht erneut nach den ersten Seiten wieder ins Bücherregal zu stellen. Es ist ein beeindruckendes Buch, zweifelsohne. Aber die Geschichte, die darin erzählt wird, zeichnet eine so brutale Realität (wohl mehr als literarische Fiktion) in einer klaren, eindringlichen Sprache, dass es schwer fällt als Leser die erforderliche Distanz zu wahren und nicht in Betroffenheit zu versinken. Etwas pathetisch ausgedrückt: Ein erschütternder Roman.
Als was fühle ich mich in diesem Staat oder in der europäischen Staatengemeinschaft? Eine schnelle Antwort lautet in der Regel: als Bürger, als Staatsbürger. Als was sollte man sich auch sonst fühlen? Entsprechend wird wenig darüber nachgedacht. Schließlich bietet die deutsche Sprache auch nicht viele Alternativen.
In der Österreichisch-Ungarischen Monarchie sahen sich Menschen noch eher als Untertanen, denn als Bürger, abgesehen von jenen, die dem besitzenden städtischen Bürgerstand angehörten, der Bourgeoisie. Auf diese Idee käme heute wohl niemand mehr, auch wenn manche Politiker agieren, als hätten sie immer noch Untertanen vor, bzw. unter sich.
Im Französischen gibt es einen Begriff, der etwas bezeichnet, wofür es im Deutschen nicht wirklich eine Entsprechung gibt: den Begriff des Citoyen. Warum ist das so?
In einem äußerst anregenden und gut geschriebenen Beitrag in der NYT wird jemand beschrieben, der leidenschaftlich, obsessiv einer Frage nachgeht, nicht aufhört zu recherchieren und damit einige Kreise stört. Ein sehr erhellendes Psychogramm zeichnet N.R. Kleinfield. Er schildert in seinem Beitrag Never Solved, a College Dorm Fire Has Become One Man’s Obsession
die Geschichte eines ‚privaten Ermittlers’ auf den Spuren eines Brandanschlags an der Cornell University, dem neun Menschen zum Opfer fielen. Über Jahrzehnte ist er, der dem Brandanschlag selbst entkommen ist, dem ungelösten Fall auf der Spur geblieben und seine Nachforschungen haben Institutionen und Polizei genervt. Keiner wollte Aufmerksamkeit für ein nicht wirklich intensiv untersuchtes Verbrechen. Lesenswert.
Freiheit ist nicht Wissen, sondern das, was auf das Wissen folgt. Sie ist ein Seelenzustand, der den Widerspruch nicht nur zulässt, sondern in ihm seine Nahrung und seine Grundlage findet.
Octavio Paz (1987): Nackte Erscheinung, 90.
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Bundeskanzler Sebastian Kurz und sein Vizekanzler HC Strache haben einen besonderen Hang zur billigen Selbstinszenierung auf Boulevardniveau - sie merken, dass das bei Teilen ihrer großteils unkritischen und im Fall der FPÖ unterdurchschnittlich gebildeten Klientel gut ankommt. Eine Pressekonferenz im Kindergarten kann das sprichwörtlich illustrieren. Das ist aber für Politik und politische Gestaltung unserer Gesellschaft bei weitem nicht ausreichend und wohl nicht einmal für eine Seifenoper im Vorabendprogramm. Das alles ist Schmonzes. Ebenso der Knicks Österreichs Außenministerin Kneissl vor Vladimir Putin, der die naive, anbiedernde Demutsgeste still genossen haben dürfte. Das zeigt mangelnde diplomatisch Professionalität und zeigt, in welchem Ausmaß sich Mitglieder der Regierung von persönlichen Stimmungen und Selbstgefälligkeiten leiten lassen. Die Schwarz-Blaue Regierung III tut so, als ob
(Vahinger) sie regierte und wo sie handelt macht sie das in einer rücksichtslosen Hemdsärmeligkeit, die einem Bang werden lässt.
Hass gibt es inzwischen leider überall. Das ist ein weiterer Einfluss der sozialen Netzwerke, ich würde sogar sagen: Der Hass ist die böse Überraschung dieser Netzwerke. Man meinte, sie würden die freie Rede ermöglichen, indem sie Macht und Hierarchie wegräumten. Doch vor allem, merkt man jetzt, ist die Zivilisation weggeräumt worden. Die Rede mag nun frei und spontan sein, aber sie ist auch frei von Anstand, und ihre Spontaneität ist wild, ja barbarisch.
Finkielkraut, A., NZZ, 1.2.2019
Peter Sloterdijk ist zweifelsohne ein brillanter Essayist, ein sehr belesener und gebildeter Kulturwissenschaftler und Selbstdarsteller, wohl aber kein bedeutender Philosoph, denn dazu fehlt ihm die Fähigkeit zur kritischen Selbstdistanz, zur Selbstkritik. Insofern ist Peter Sloterdijk eine tragische Figur, denn allem Anschein nach fühlt er sich zu nichts weniger als zum Herrenreiter unter den Philosophen berufen.
Bafler, Schwätzer der Sonderklasse, wie es Martin Lüdke nannte, haben es noch nicht einmal in den Duden geschafft. Dort findet sich allenfalls Bafel
, das Geschwätz
und bafeln
schwatzen
. Dabei trifft man Bafler zu Hauf in der Politik, der sogenannten Gesellschaft und auch in der Wirtschaft sind Bafler weit verbreitet. Selbst in der Wissenschaft scheinen Bafler keine Ausnahmeerscheinung mehr zu sein. — Ist der Bafler, der neue Dandy?
In einer E-Mail schrieb ich zunächst „Erklärungen”, um einen Sachverhalt zu kommentieren. Beim Durchlesen hatte dieses „Erklärungen” einen unangenehmen Beigeschmack, als müsste ich jemanden etwas erklären. Ich entschied mich, stattdessen „Erläuterungen” zu schreiben, was eher zu entsprechen schien. Ich schickte die E-Mail ab. Da ich mir selbst in BCC immer Kopien meiner E-Mails zuschicke, fiel mir auf, dass ich weder „Erklärungen” noch „Erläuterungen” geschrieben hatte, sondern „Erkläuterungen”. Und ich muss sagen, dass mir diese Verballhornung ausnehmend gut gefällt. Ich habe sie in meinen (privaten) Wortschatz übernommen. Manchmal findet das Unterbewusstsein sehr kreative und überraschende Kompromisse.
Was einen Systemtheoretiker aus Laxenburg, eher konservativer Katholik mit einem Befreiungstheologen aus Lateinamerika verbindet, der als Theologe Marxist war
An letzter Stelle aber, und nur widerwillig zugelassen und verdächtigt und geschmäht, steht in diesem pädagogischen Programm die Ausbildung des Intellekts und seine Versorgung mit Wissensstoff. In immer neuen Wendungen gibt sich die Angst vor dem denkenden Menschen, der Hass auf das Denken zu erkennen
Klemperer, Victor (2010):LTI [Lingua Tertii Imerii], 11.
Die Alten stehen uns im Weg
– Das ist das verblüffende Statement eines 25 jährigen Jungunternehmers, der gerade mal eben sein Informatikstudium mit einem Bachelor of Science (BS) beendet hat und der sich als rühriger Start-„Uper” sieht, der sich ausgezeichnet fühlt, weil er die kurzlebige österreichische Türkis-Blaue Regierungskoalition in Start-up Fragen beraten durfte. Es bedarf eines ausgeprägten und überzogenen Selbstbewusstseins, derart ebenso markige wie undifferenzierte und dumme Aussagen zu machen, was auch sein Buch „Die Welt, die ihr nicht mehr versteht” verdeutlicht. Selbst nur einbahnig ausgebildet, strebt der Entrepreneur nun die Gründung einer „University” in Wien und gleich auch in anderen Städten an. Das beschränkte Bildungsverständnis, das sich hier zeigt (weshalb als „University” zitiert und nicht als Universität) sieht er erfüllt in den Themenbereichen Coding, Interaction Design, Product Development, Artificial Intelligence, Rhethoric, Sustainability. Auf dieser Basis denkt er, die Herausforderungen der Zukunft schultern zu können und verlangt, dass die Alten beiseite treten und den Jungen die Bühne überlassen sollten. Unterversorgte und deshalb wohl gierige Egos neigen zur Selbstüberschätzung.
Der Weg dorthin führte den Fluss entlang. In Andacht versunken, ging er so dahin und setzte sich eine kleine Weile nieder mit dem Blick auf den Fluss, der tief unten dahinfloß. Wie er nun so dasaß, begannen die Augen seines Verstandes sich ihm zu eröffnen. Nicht als ob er irgendeine Erscheinung gesehen hätte, sondern es wurde ihm das Verständnis und die Erkenntnis vieler Dinge über das geistliche Leben sowohl wie auch über die Wahrheiten des Glaubens und über das menschlich Wissen geschenkt. Dies war von einer so großen Erleuchtung begleitet, dass ihm alles in neuem Licht erschien. Und das, was er damals erkannte, lässt sich nicht in Einzelheiten darstellen, obgleich es deren sehr viele waren. Nur dass er eine große Klarheit in seinem Verstand empfing.
Ignatius von Loyola, Der Bericht eines Pilgers, 1955, 65.
In den letzten Jahren erstaunen mich selbst in sogenannten „seriösen” Medien zunehmend Formulierungen, die wenig Information bieten, wohl aber unterhaltsam sein sollen. Flappsiger Sprachgebrauch, Anspielungen und Insinuationen häufen sich signifikant. Warum ist das so? Ist das eine Form der Anbiederung, um vermeintlich unterhaltungssüchtige Leser*innen zu bedienen und einen Lerser*innenschwund abzufangen? Das wäre doch sehr naiv.
Wenn ich eine Qualitätszeitung lese, dann will ich keine Berichterstattung auf dem Niveau des Boulevard lesen. Ich will nicht mit Meinungen konfrontiert werden, wo Informationen gefordert sind und ich will, dass seriös recherchiert wird. Da wäre eine mögliche weitere Ursache für diesen zunehmenden saloppen journalistischen Stil benannt. Recherchen, Informationen und deren Absicherungen benötigen viel Zeit und Akribie und verursachen entsprechend Kosten. Plaudern und witzeln können sprachlich einigermaßen begabte Schreiber leichter aus dem Ärmel schütteln. — Das trifft nicht nur auf Printmedien zu, sondern auch auf Nachrichtensendungen in Radio und TV.
Halten manche Redaktionen und einzelne Journalist*innen Ihre Zuhörer*innen und Leser*innen für nicht fähig, sich selbst aufgrund von Informationen eine eigene Meinung zu bilden? Glauben Sie, dass sie deshalb unterhaltsam garnierte Meinungen verbreiten müssen, statt nüchterne Fakten und Informationen? Meinungen gehören in Kommentare, Glossen etc., nicht jedoch in die ordentliche Berichterstattung.
- L ebensbereich vor Produktionsbereich in der Gesellschaft
- I mmaterielle Faktoren vor materiellen Faktoren in der Wirtschaft
- L angfristigkeit und Ganzheitlichkeit in den Werten und Zielen
- A lternative Sanftheit im Umgang mit der Welt
Die Lage in Österreich ist unübersichtlich geworden. Es ist nicht klar, wohin das Land unter der rechtspopulistischen Regierung von ÖVP und FPÖ driftet, beziehungsweise wie sehr rechtsnationale Gesinnungspolitik durchschlagen wird. Opposition und Medien haben noch nicht wirklich realisiert, dass die Schwarz-Blaue Regierung außerhalb der eingefahrenen, bekannten Strategiespiele operiert und das sehr professionell und rücksichtslos. Speed kills. Wer führt Regie und wer, selbst unter den MinisterInnen kennt das Drehbuch, oder hat es verstanden? Viele in der Entourage eines Kurz und Kickel sind ebenso ahnungslos wie die Opposition und die Medien.
Die Reduzierung komplexer politischer Sachverhalte auf ein einziges Thema, in der Regel bezogen auf eine Minderheit im Land, ist ein tradiertes Mittel des Faschismus.
Das haben wir heute erneut vorgeführt bekommen.
Die Migranten sind an allem schuld.
Eine ähnliche Diktion hat es in diesem Haus schon einmal gegeben, und ich finde, es ist Zeit, dass die Demokraten in diesem Lande sich gegen die Art der rhetorischen Aufrüstung wehren, die am Ende zu einer Enthemmung führt, deren Resultat Gewalttaten auf den Straßen ist.
Es gibt Extremismus und es gibt Idiotie. Das Schlimmste ist, wenn diese beiden Eigenschaften zusammentreffen.
Amir Peretz, ehem. Verteidigungsminister in Isreal
Touristen in der Provance beschwerten sich laut Bürgermeister von Le Beausset über den Lärm, den Zikaden machten. Dass dies zur Landschaft gehöre, wollten sie nicht einsehen. Sie fragten nach chemischen Mitteln, um den Zikaden zu Leibe rücken zu können.
Diese kleine Zeitungsnotiz beschreibt zwar nur ein kleines Vorkommnis, das aber ein riesiges Schlaglicht auf die irrsinnige Entwicklung im Tourismus wirft.
Dass Dummheit kein Privileg formal unzureichend Ausgebildeter ist, zeigen die Berichte über Versuche mit Affen und Menschen, sie Gas auszusetzen. Es war zwar nicht Zyklon B, sondern Stickstoffdioxid, aber immerhin hätten, gerade bei deutschen Autobauern, sämtliche Alarmglocken schrillen müssen, bei der Kombination von Gas und Menschen, bei Versuchsreihen an Menschen.
Historisch unzureichend gebildet, ethisch unsensibel bis unterbelichtet und moralisch verwahrlost - anders kann man das nicht nennen. Das trifft nicht nur auf die Verantwortlichen der Autoproduzenten zu, die sich dazu verstiegen haben, sondern auch auf die Mitglieder der Ethikkommission, die dem Vernehmen nach mit den Versuchen befasst waren und diese genehmigten. Dass Ethik nicht nur in fachwissenschaftlichen Kategorien, sondern u.a. auch in geschichtlichen Dimensionen verstanden werden muss, scheint den Mitgliedern nicht bewusst zu sein. Sie sollten allesamt zumindest suspendiert, wenn nicht gar abberufen werden.
Die Gedankenlosigkeit ist unfassbar.
Lesen ist eine meiner großen Leidenschaften. Kritisches Lesen geisteswissenschaftlicher oder soziologischer (Fach-) Literatur macht mir dabei ein spezielles, fast sportliches Vergnügen.
Der Argumentation eines Autors, einer Autorin folgen, Spuren der gedanklichen Entwicklung nachgehen, nachhaken, infrage stellen, das ist sehr anregend. Dabei wird man nicht selten hineingezogen in ein, manchmal mehrere Labyrinthe, die sich teils überlagern und durchdringen. Denken ist seit meiner Jugend eine Leidenschaft, nicht selten im Wortsinn. Da sich mein Denken vor allem aus Lesen und Begegnungen mit anderen Lesenden speist, aus Nachdenken und Nachfragen, hat sich im Laufe der Jahrzehnte einiges an Resonanz- und Verweisraum entwickelt, genügend, um kritisches Lesen zu nähren und zu befeuern. Dabei bleibe ich immer hungrig nach weiteren Einsichten und offen für Revisionen eigenen Denkens.
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