Eine Gedankeninfektion
Auf Caesare Pavese bin ich über Leone Ginzburg gestoßen. Leone Ginzburg, Vater des renommierten, aber hierzulande weniger bekannten Kunsthistorikers Carlo Ginzburg, war ein vehementer Gegner des Faschismus. Zusammen mit Giulio Einaudi hatte er den Einaudi Verlag gegründet, einen der wohl angesehensten Verlage Italiens. Leone Ginzburg war seit der gemeinsamen Turiner Gymnasialzeit mit Caesare Pavese eng befreundet. Ein spannendes, faszinierendes Beziehungsgeflecht von Intellektuellen am Anfang des 20. Jahrhunderts in Italien, zudem auch Carlo Levi gehörte.
Vor wenigen Wochen ist in der Edition Blau Caesare Paveses 1942 verfasstes Das Haus auf dem Hügel
(La casa in colina
) neu aufgelegt worden. Das freut mich, denn ich werte dies als Indiz für ein neues Interesse an diesem unterschätzten Schrfitsteller und Intellektuellen.
Ich finde, seit ich mich intensiver mit seinem Werk zu beschäftigen begann, immer wieder Anregungen darin. Manch ein Gedanke infiziert mich, macht mich fiebrig und bringt viele andere Gedanken in Resonanz. Vor allem beim Lesen seines Tagebuches (1936-50) in Das Handwerk des Lebens
, das ich immer wieder zur Hand nehme, passiert mir das häufiger.
Zuletzt stieß ich auf folgenden Gedanken: Am 4. Oktober 1943 notiert Caesare Pavese:
Wir bewundern nur jene Landschaften, die wir schon bewundert haben. Von Ring zu Ring geht man zurück zu einer Darstellung, einem Ausruf, einem Zeichen, mit denen ein anderer sie für uns ausgewählt und unser Augenmerk darauf gelenkt hat.
Pavese veweist dabei auf einen früheren Eintrag vom 10. Februar 1942:
Kurz, du kannst dich nicht willentlich der Dichtung wegen für ein bestimmtes Dorf oder eine bestimmte Sphäre interessieren und sie lebendig machen, außer indem du sie auf die (unzulänglichen) prägenden Formen deiner Kindheit und Jugend zurückführst. Du kannst also […] nicht einer impliziert schon im Wesen deiner Wahrnehmung vorhandenen Welt entfliehen.
Und weiter:
Bleibt zu sehen, ob du dich, in beiden Bereichen der Aktive und Schaffende, darauf beschränken musst, immer gründlicher die Wirklichkeit auszugraben und zu begreifen, die dir schon gegeben ist, oder ob es förderlich ist, dass du dich ständig mit dir fremden, amorphen Dingen, Gestalten, Situationen, Entscheidungen auseinandersetzt und aus der Reibung und der Anstrengung eine ständige Potenzierung und Zunahme deiner Fähigkeiten ziehst. Die Frage besteht ganz darin, ob man, ist die erst Erkenntnis erfolgt, geistig von Rendite lebt oder ob man nicht jeden Tag das Kapital vermehren kann.
Und weiter:
Es scheint offensichtlich, dass sich die beiden Wege, so mühsam und schrecklich es auch sein mag, vereinen können und eine im reifen Alter aufgearbeitete Kindheitserfahrung ein anderer und neuer Ausgangspunkt sein wird.
Eineinhalb Jahre später formuliert er versöhnlich:
Natürlich kommt ein Augenblick, in dem wir, durch lange Gewohnheit schlau geworden, selbst Landschaften auswählen, als ob sie durch das Zeichen eines anderen Unterstützung erfahren hätten. Das Gesetz wird dadurch nicht verletzt.
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